Zu homogen: Seit rund vier Milliarden Jahren verläuft die kosmische Entwicklung etwas anders als sie sollte – die Materie im Universum ist nicht klumpig genug, wie neue Analysen nahelegen. Demnach verteilen sich Galaxien, Galaxienhaufen und andere Strukturen im Universum seit jener Zeit gleichmäßiger, als es das kosmologische Standardmodell voraussagt. Dies bestätigt frühere Hinweise auf eine solche Diskrepanz und wirft die Frage auf, was dahinter stecken könnte.
Den Anfang machten winzige Unregelmäßigkeiten in der kosmischen Ursuppe – dem dichten, heißen Gemenge aus Strahlung, Gasen und Dunkler Materie kurz nach dem Urknall. Diese Dichtefluktuationen verstärkten sich im Laufe der kosmischen Entwicklung: Dichtere Stellen wurden dichter und bildeten schließlich Galaxien, Galaxienhaufen und gigantische Supercluster. Dünnere Stellen dünnten weiter aus und wurden zu sternenarmen Voids – so die gängige Theorie.
Rätsel um den Parameter S8
„Unser kosmologisches Standardmodell (ΛCDM) beschreibt relativ erfolgreich, wie diese primordialen Dichteschwankungen zur heutigen Materieverteilung wurden“, erklären Joshua Kim von der University of Pennsylvania und seine Kollegen. Der Parameter Sigma 8 (S8) in diesem Modell gibt an, wie homogen die Materie im Kosmos verteilt ist. Überprüfen lässt sich dies zum einen an der kosmischen Hintergrundstrahlung – der Strahlung, die rund 380.000 Jahre nach dem Urknall frei wurde, als sich die ersten Atome bildeten. Diese Hintergrundstrahlung liefert uns ein „Babyporträt“ unseres Universums.
Vergleicht man dieses nun mit großen Himmelskartierung des heutigen Kosmos, kann man die Materieentwicklung nachvollziehen und so das Standardmodell überprüfen. Doch genau an diesem Punkt knirscht es: In den letzten Jahren haben gleich mehrere Himmelskartierungen zu niedrige Werte für S8 geliefert. Demnach ist die Materie im heutigen Universum gleichmäßiger verteilt als es das Standardmodell auf Basis der Hintergrundstrahlung vorhersagt.
„Wie eine kosmische Computertomografie“
Jetzt haben Kim und sein Team dies noch einmal auf neue Art überprüft. Für ihre Studie kombinierten sie zwei Datensätze – einen zum frühen Kosmos und einen zum heutigen – auf neue Weise. Die Daten des Atacama Cosmology Telescope in Chile zeigen die kosmische Hintergrundstrahlung und die Spuren, die die frühen Materiestrukturen in ihr hinterlassen haben. Das Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI) in Arizona kartiert dagegen die dreidimensionale Verteilung von Millionen Galaxien über Milliarden Jahre hinweg.
Der Clou: Die Astronomen entwickelten ein Verfahren, mit dessen Hilfe sie die Himmelskarten beider Datensätze virtuell übereinanderlegen und so direkt vergleichen konnten. „Dieser Prozess gleicht einer kosmischen Computertomografie“, erklärt Kims Kollege Mathew Madhavacheril. „Wir können uns darin nun verschiedene Scheiben der kosmischen Geschichte anschauen und nachvollziehen, wie stark die Materie in verschiedenen Epochen zusammenklumpte.“ Dadurch konnten die Astronomen gezielt überprüfen, wie gut diese Epochen zu den Vorhersagen des Standardmodells passen.
Abweichungen begannen vor rund vier Milliarden Jahren
Das Ergebnis: „Den größten Teil der Zeit stimmt die Entwicklung der kosmischen Struktur bemerkenswert gut mit den Voraussagen überein!“, berichtet Madhavacheril. „Aber in den jüngeren Zeitabschnitten sehen wir eine leichte Abweichung von der erwarteten Klumpigkeit.“ Demnach liegt der auf Basis des Standardmodells erwartete Wert für den Parameter S8 bei rund 0,83, der mit den neuen Daten ermittelte Wert dagegen bei 0,776. „Dies ist rund 2,1 Standardabweichungen niedriger als erwartet“, so die Astronomen.
Damit bestätigen diese Resultate die bereits in früheren Kartierungen aufgetauchten Diskrepanzen, wie zuletzt im Jahr 2023 in einer ähnlichen Vergleichsstudie zweier Teleskopdatensätze. Interessant an den Ergebnissen von Kim und seinem Team ist jedoch, dass sie die zeitliche Entwicklung genauer eingrenzen. Ihren Daten zufolge begannen die Diskrepanzen zum Modell vor rund vier Milliarden Jahren.
Was steckt dahinter?
Warum jedoch die Materie ausgerechnet vor vier Milliarden Jahren anfing, weniger stark auf Gravitation zu reagieren und dadurch weniger zu verklumpen, ist noch ungeklärt. Nach Angaben von Kim und seinen Kollegen könnte dies ein Hinweis auf „neue Physik“ jenseits des Standardmodells sein – beispielsweise auf Kräfte oder Teilchen, die den Effekt der Gravitation oder ihres Gegenspielers, der Dunklen Energie, verändert haben.
„Aber für sich genommen ist diese leichte Abweichung noch nicht stark genug, um eindeutig auf eine solche neue Physik hinzudeuten“, betont Madhavacheril. Die Messunsicherheiten seien noch zu hoch, um einen Messfehler auszuschließen. Die Astronomen hoffen jedoch, dass weitere Kombinationsanalysen dieser Art der Spur weiter nachgehen und mehr Klarheit schaffen. (Journal of Cosmology and Astroparticle Physics, 2025; doi: 10.1088/1475-7516/2024/12/022)
Quelle: University of Pennsylvania